Tugend kommt aus dem Herzen und nicht aus dem Verstand. Wenn sich der Verstand einer Tugend bemächtigt, dann geschieht dies aus schlauer Berechnung. Es ist ein Akt der Selbstverteidigung oder ein geschicktes Unterfangen, sich einer bestimmten Umgebung anzupassen. Diese Art von Vervollkommnung ist geradezu eine Verleugnung der Tugend. Wie kann es Tugend geben, wo Angst und Besorgnis herrschen? Angst kommt aus dem Verstand, nicht aus dem Herzen. Sie verbirgt sich hinter den verschiedensten Masken, als da sind: Tugend, Ansehen, Anpassung, Dienstbarkeit und so weiter. Angst steckt hinter allem Planen und Wirken des Verstandes. Wenn der Mensch mit Überlegung etwas tut, so wird ihm dieses Tun immer zum Mittel und Werkzeug, um die Kontinuität des Ichs zu erhalten, ihm Dauer und Bestand zu gewährleisten. Wie ein Kind Klavier übt, so übt er die Tugenden, nicht etwa um ihrer selbst willen, sondern in der schlauen Absicht, sein Ich für die Auseinandersetzung mit dem Leben mit Bestand und Durchschlagskraft zu wappnen oder ein Ziel zu erreichen, das ihm als das höchste und begehrenswerteste erscheint.
In Wahrheit ist dieses Ich aber dem Leben nur gewachsen, wenn es schutzlos und verwundbar ist und nicht in der schimmernden Wehr gesellschaftlichen Ansehens und hinter einem Panzer ichbezogener Tugenden einhergeht. Und das ›Höchste‹ ist niemals ein Ziel und kann daher nicht erreicht werden, zu ihm führt kein Pfad, ihm wächst man auch nicht in mathematischer Progression entgegen. Die Wahrheit muss zu dir finden, du kannst nicht zu ihr gelangen, auch durch eifrigste Tugendpflege kommst du ihr um keinen Schritt näher. Was du damit erreichst, ist nicht die Wahrheit, sondern nur dein selbstgesetztes Wunschziel. In der Wahrheit allein aber ist alles Glück beschlossen.
J. Krishnamurti
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