Hanoi Mai 1969. Diese Familie verlor ihre Hütte nach einer Bombardierung einer amerikanischen B-12. (Foto Irene
Feldbauer).
Der
zweite
Vietnamkrieg begann 1960 und ging 1975 zu Ende. Es war die längste
militärische Auseinandersetzung im zwanzigsten Jahrhundert. Sie endete
mit dem Rückzug der USA aus dem Land, mit dem Fall
Saigons, dem 1976 die Wiedervereinigung von Süd- und Nordvietnam
folgte. Je nach Standpunkt wurde in Vietnam der «freie Westen» gegen
«den Kommunismus» verteidigt oder eine ausländische
Aggression bekämpft. Für die USA endete der Krieg mit der ersten
militärischen Niederlage ihrer Geschichte. Der Krieg beeinflusste die
Einstellung vieler Amerikaner zu ihrem Land und führte zu
einer kritischen Hinterfragung der amerikanischen Rolle als
«Weltpolizist».
Es begann mit der Kolonialmacht Frankreich
Die amerikanische Tragödie geht zurück auf die Eroberung des Landes durch die Kolonialmacht
Frankreich.Der
vietnamesische Historiker Le Than Khoi schildert in seinem 1955 in
Paris erschienenen Buch «Le Vietnam. Histoire et
Civilisation», in welch unbeschreiblichem Elend die grosse Mehrheit
der Vietnamesen in dieser Zeit lebte. Für die vietnamesischen Arbeiter
gab keinen freien Sonntag, keinen bezahlten Urlaub,
keine gesundheitliche Betreuung, keine Sozialversicherung, keine
Arbeitslosenunterstützung. Für die geringsten «Vergehen» gab es
Prügelstrafen, Geldbussen und Gefängnis. Auf den
südvietnamesischen Plantagen starben jährlich Hunderte von Menschen
an den Folgen der barbarischen Behandlung.
Die
Kohlenminen von Hong Gai in Nordvietnam und die Kautschukplantagen im
Süden unterhielten ihre eigene
Polizei, einen eigenen Spitzelapparat zur Überwachung der Arbeiter
und eigene Gefängnisse. Ihr Elend beschreibt der US-amerikanische
Journalist H. A. Frank in seinem 1926 in London
veröffentlichten Buch «East of Siam» so:
«Es
sind arme Sklaven, in armselige Lumpen gehüllt, und schwach ist die
Hand, welche die Hacke schwingt.
Die Sonne brennt erbarmungslos, die Arbeit ist kräftezehrend, doch
sie bringt nur wenig ein. Es gab dort auch Frauen, und vor allem, hinter
den Kohlekarren, kleine Kerlchen von kaum zehn Jahren;
ihre von Erschöpfung gezeichneten, mit Kohlenstaub bedeckten
Gesichter aber glichen denen von Vierzigjährigen. Ihre nackten Füsse
waren von einer harten Kruste bedeckt. Ohne Pause trotteten sie
durch den Staub.
Und
der französische Geograf Pierre Gourou schreibt in seinem Buch «L’
Asie» (Paris 1954): «Hunger und
Elend zwingen die tongkinesischen und annamitischen Bauern, auf
Insekten Jagd zu machen, die sie dann gierig verzehren. In Tongking
fängt man Heuschrecken, Grillen, Eintagsfliegen, sammelt einige
Raupen und Bambuswürmer und schreckt auch nicht davor zurück, die
Puppen der Seidenraupe zu essen. Jedermann weiss, dass dort ständig
Hungersnot herrscht.»
Aufruf zum nationalen Befreiungskampf
Diese kurzen Einblendungen verdeutlichen, warum die grosse Mehrheit der Vietnamesen dem Aufruf der am 19. Mai 1941 von Ho chi Minh gegründeten Vietnam doc Lap Dong Minh, der Liga für die Unabhängigkeit Vietnams, zum nationalen Befreiungskampf folgte. Die kurz Viet Minh genannte Befreiungsfront, bestand nicht nur aus Kommunisten, wie oft fälschlicher Weise angeführt, sondern ihr gehörten breite Bevölkerungsschichten an: Arbeiter und Bauern, verschiedene Schichten des Kleinbürgertums, Vertreter der Intelligenz, der nationalen Bourgeoisie, Angehörige der nationalen Minderheiten, buddhistische Mönche, vietnamesische Soldaten der französischen Kolonialarmee und selbst Mandarine, Angehörige der hohen vietnamesischen Feudalschicht.
Am 22. Dezember 1944 bildete die Viet Minh offiziell eine erste Partisanen-Einheit, aus der eine rasch anwachsende Volksarmee hervorging. Ihr Befehlshaber wurde der 31jährige Lehrer Vo Nguyen Giap, der spätere Verteidigungsminister der Demokratischen Republik Vietnam (DRV). Er kommandierte auch die vietnamesischen Truppen, von denen die Franzosen im Mai 1954 in der Schlacht bei Dien Bien Phu geschlagen wurden.
Am 9. August rief die Viet Minh zum bewaffneten Aufstand gegen die japanischen Truppen auf, die im Frühjahr 1940 Vietnam besetzt hatten, und gegen die französischen Kolonialisten, die unter der japanischen Besatzung die Verwaltung weiter ausübten. Am 19. August nahmen die Vietnamesen Hanoi ein, am 23. August die alte Kaiserstadt Hue. Das Ereignis wird von den Vietnamesen als Augustrevolution bezeichnet.
Die Führung der Viet Minh konstituierte sich am 25. August zur provisorischen Regierung. Am 2. September 1945 erklärte Ho Chi Minh Vietnam für unabhängig. Die Grundsätze der Proklamation könnten der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 entstammen: «Alle Menschen sind gleich erschaffen. Von ihrem Schöpfer wurden sie mit bestimmten unveräusserlichen Rechten ausgestattet, darunter dem Recht auf Leben, auf Freiheit und auf das Streben nach Glück.» Die Unabhängigkeitserklärung endete mit den Worten: «Das vietnamesische Volk ist entschlossen, all seine geistigen und materiellen Kräfte aufzubieten, Leben und Besitz zu opfern, um sein Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit zu behaupten.»
Diese kurzen Einblendungen verdeutlichen, warum die grosse Mehrheit der Vietnamesen dem Aufruf der am 19. Mai 1941 von Ho chi Minh gegründeten Vietnam doc Lap Dong Minh, der Liga für die Unabhängigkeit Vietnams, zum nationalen Befreiungskampf folgte. Die kurz Viet Minh genannte Befreiungsfront, bestand nicht nur aus Kommunisten, wie oft fälschlicher Weise angeführt, sondern ihr gehörten breite Bevölkerungsschichten an: Arbeiter und Bauern, verschiedene Schichten des Kleinbürgertums, Vertreter der Intelligenz, der nationalen Bourgeoisie, Angehörige der nationalen Minderheiten, buddhistische Mönche, vietnamesische Soldaten der französischen Kolonialarmee und selbst Mandarine, Angehörige der hohen vietnamesischen Feudalschicht.
Am 22. Dezember 1944 bildete die Viet Minh offiziell eine erste Partisanen-Einheit, aus der eine rasch anwachsende Volksarmee hervorging. Ihr Befehlshaber wurde der 31jährige Lehrer Vo Nguyen Giap, der spätere Verteidigungsminister der Demokratischen Republik Vietnam (DRV). Er kommandierte auch die vietnamesischen Truppen, von denen die Franzosen im Mai 1954 in der Schlacht bei Dien Bien Phu geschlagen wurden.
Am 9. August rief die Viet Minh zum bewaffneten Aufstand gegen die japanischen Truppen auf, die im Frühjahr 1940 Vietnam besetzt hatten, und gegen die französischen Kolonialisten, die unter der japanischen Besatzung die Verwaltung weiter ausübten. Am 19. August nahmen die Vietnamesen Hanoi ein, am 23. August die alte Kaiserstadt Hue. Das Ereignis wird von den Vietnamesen als Augustrevolution bezeichnet.
Die Führung der Viet Minh konstituierte sich am 25. August zur provisorischen Regierung. Am 2. September 1945 erklärte Ho Chi Minh Vietnam für unabhängig. Die Grundsätze der Proklamation könnten der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 entstammen: «Alle Menschen sind gleich erschaffen. Von ihrem Schöpfer wurden sie mit bestimmten unveräusserlichen Rechten ausgestattet, darunter dem Recht auf Leben, auf Freiheit und auf das Streben nach Glück.» Die Unabhängigkeitserklärung endete mit den Worten: «Das vietnamesische Volk ist entschlossen, all seine geistigen und materiellen Kräfte aufzubieten, Leben und Besitz zu opfern, um sein Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit zu behaupten.»
Ho chi Minh wird zur legendären Führerpersönlichkeit
Am
6. Januar 1946 wird in Vietnam zum ersten Mal eine Nationalversammlung
gewählt. Zugelassen sind auch Parteien und
Organisationen, die der Viet Minh nicht angehören. Die Viet Minh
belegt 230 der 300 Sitze. Am 2. März wird Ho chi Minh zum Präsidenten
der DRV gewählt.
Ho
chi Minh wird in den folgenden Jahren des Kampfes zur legendären
Führerpersönlichkeit, zur Seele des Widerstandes gegen
das neu errichtete französische Kolonialjoch, wie später gegen seine
US-amerikanischen Erben. Sein politisches Testament, das er vier Monate
vor seinem Tod verfasste, ist durchdrungen von der
unerschütterlichen Gewissheit, dass sein Volk bis zum Sieg kämpfen
werde. Als er während des erbitterten Ringens um die Wahrung der
nationalen Unabhängigkeit im September 1969 starb, spekulierte
man in den USA, dass sein Tod die Widerstandskraft Vietnams lähmen
würde. Nichts dergleichen geschah. Seine Nachfolger hatten zwar eine so
starke Ausstrahlung wie er, doch sie setzten sein Werk
fort ohne in innerpolitische Machtkämpfe zu verfallen.
Obwohl
es im Süden zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den
französischen Truppen und der Volksarmee kommt, lässt sich Ho chi Minh
auf Verhandlungen mit Frankreich ein. Der Grund: in
Nordvietnam halten sich zu diesem Zeitpunkt auch nationalistische
chinesische Truppen mit über 180 000 Mann auf. Die Viet Minh fühlt sich
nicht stark genug, die proklamierte Unabhängigkeit
gleichzeitig gegen die französische Kolonialmacht und die
chinesischen Truppen zu verteidigen. Ho chi Minh ist sogar bereit, bei
einer Anerkennung der vollen Souveränität und territorialen
Integrität der DRV der eben von Frankreich mit seinen Kolonien und
überseeischen Gebieten gegründeten Französischen Union beizutreten. Die
Versuche scheitern jedoch.
Nachdem
die Franzosen ihre koloniale Verwaltung in Vietnam wieder aufgebaut
hatten, vereinbarten sie 1946 mit den chinesischen Nationalisten
einen Abzug der chinesischen Truppen aus Vietnam. In den folgenden
Jahren verstärkte die Viet Minh sowohl in Süd- als auch in
Nordvietnam ihre Angriffe auf französische Kolonialtruppen, deren
Kriegskosten in dieser Phase zu achtzig Prozent von den USA getragen
wurden. Während es den Franzosen gelang, die Kontrolle
über die Städte zu behalten, gerieten immer mehr Landstriche in die
Hände der Viet Minh.
Die Schlacht von Dien Bien Phu und die
Atombombengefahr
Am
20. November 1953 richteten die Franzosen in Dien Bien Phu, einem
breiten Tal im unwegsamen Bergland an
der Grenze zwischen Nordvietnam und dem nördlichen Laos, eine
Garnison mit 16 000 Mann ein. Von Dien Bien Phu aus sollte die
Grenzregion zwischen den beiden Ländern überwacht werden. Denn die
Viet Minh unterstützte die von den laotischen Kommunisten dominierte
Befreiungsbewegung Pathet Lao in Laos und versorgte sie mit Waffen.
Kommandant
dieser Dschungelfestung wurde Ferdinand de la Croix de Castries, Oberst
der Panzertruppen Er plante, die Viet
Minh nach Dien Bien Phu zu locken, um sie zu verlustreichen
Angriffen zu provozieren und sie dann vor den Toren der dortigen Festung
in einer Feldschlacht zu vernichten. In den folgenden Wochen
bewegten sich die vietnamesischen Truppen durch das Tal auf die
Festung zu, befehligt von Vo Nguyen Giap. Mit dabei war Ho chi Minh.
Zweihunderttausend
Träger schafften schwere Artillerie auf die Bergrücken rund um das Tal
von Dien Bien Phu. Die USA
verstärkten die Unterstützung für Frankreich in Vietnam.
C-119-Flugzeuge der US Air Force warfen Napalmbomben auf die Belagerer
ab und der Einsatz der bereits eingesetzten B-26-Bomber wurde
erhöht.
Als
sich auf dem Höhepunkt der Schlacht eine französische Niederlage
abzeichnete, forderte Paris sogar von den USA den
Abwurf einer Atombombe auf Ho chi Minhs rückwärtige Gebiete.
Grossbritannien sprach sich dagegen aus und auch US-Präsident Dwight D.
Eisenhower, selbst ein Militär, wollte ein solches Risiko, das
eine Reaktion Moskaus hätte hervorrufen können, nicht eingehen. Auch
in Frankreich, wo zu dieser Zeit ein Regierungswechsel stattfand, waren
die Meinungen dazu geteilt. So blieb ein
Atomwaffeneinsatz aus.
Im
März 1954 beginnt der Angriff der Vietnamesen auf Dien Bien Phu. Sie
nehmen nacheinander die auf sechs Hügeln
liegenden Stützpunkte ein. Am 7. Mai 1954 erobern sie die
französische Befehlszentrale, auf deren Dach der schnell noch zum
General beförderte De Castries zum Zeichen der Kapitulation ein weisses
Lacken ausgebreitet hat.
Über
20 000 Vietnamesen und mehr als 3000 Mann der französischen
Kolonialtruppen sind in der Schlacht um Dien Bien Phu
ums Leben gekommen. Für die französischen Kolonialtruppen ist es
eine der schwersten Niederlagen ihrer Geschichte. Insgesamt sind im acht
Jahre dauernden Krieg zwischen der Viet Minh und
Frankreich etwa 92 000 französische Soldaten gefallen. Die Verluste
der auf Seiten Frankreichs kämpfenden Vietnamesen mitgerechnet waren es
mit Verwundeten und Gefangenen 466 172 Opfer. Auf
Seiten der DRV starben 800 000 Menschen. Von der Pariser «Le Monde»
nach den Ursachen des Sieges befragt, erklärt General Giap: «Rufen sie
sich die Französische Revolution ins Gedächtnis zurück,
erinnern sie sich an Valmy und ihre schlecht bewaffneten Soldaten.
Um uns zu verstehen, denken sie an diese historischen Stunden ihres
Volkes. Suchen sie die Realität. Ein Volk, das für seine
Unabhängigkeit kämpft, vollbringt legendäre Heldentaten.»
Vietnam wird geteilt
Bereits
einen Tag nach dem Ende des Krieges in Vietnam begannen in Genf
Verhandlungen über das weitere Schicksal der drei
Länder Indochinas, Vietnam, Laos und Kambodscha. Daran nahmen von
Vietnam die DRV und die südvietnamesische «Regierung», die Vertreter von
Laos und Kambodscha sowie Frankreichs, Grossbritanniens,
der USA, der UdSSR und der Volksrepublik China teil. Am 20. und 21.
Juli wurden die Genfer Indochina-Abkommen unterzeichnet. Sie anerkannten
die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale
Integrität von Vietnam, Laos und Kambodscha. Zwischen dem
französisch-vietnamesischen Kommando und dem der Volksarmee der DRV
wurde die Einstellung der Kampfhandlungen vereinbart. Die Abkommen
legten am 17. Breitengrad eine 65 Kilometer breite entmilitarisierte
Demarkationslinie von etwa 800 km2 fest, mit der Vietnam in eine
nördliche und südliche Zone geteilt wurde. Es hiess
ausdrücklich, dass es «eine provisorische Linie ist und in keiner
Weise als politische oder territoriale Trennung ausgelegt werden darf».
Die Trennung sollte die sichere Rückführung der
Streitkräfte der DRV nach Norden und die der südvietnamesischen
Regierung nach Süden ermöglichen. Die vorläufige Teilung sollte ferner
der Vorbereitung allgemeiner, geheimer und freier Wahlen
dienen, die laut der Genfer Abkommen 1956 stattfinden sollten.
Die
USA weigerten sich, das Abkommen zu unterzeichnen. Am 30. Juli 1954
berichtete der französische Botschafter in
Saigon, Jean Chauvel, seiner Regierung, die geplanten allgemeinen
Wahlen seien in den Augen der USA zu verhindern, unter welchem Vorwand
auch immer.
In
Hanoi hofft man bis 1956 auf die Wahlen, bei denen, wie Präsident
Eisenhower in seinen Memoiren «Mandate for Change»
(New York 1965) schrieb, «wahrscheinlich 80 Prozent der Bevölkerung
für den Kommunisten Ho chi Minh stimmen würden.» Deshalb hatten die USA
und der von ihnen in Südvietnam als Präsident an die
Macht gebrachte Ngo dinh Diem nie vorgehabt, diese Wahlen
durchführen zu lassen. Stattdessen begann im Süden eine intensive
Propaganda für einen «Marsch nach Norden».
37-mm-Flabkanonen-Stellung
bei Vinh, etwa 300 km südlich von Hanoi. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war
Vinh einer der 27 Städte in
Nordvietnam, die durch die USA und ihre Verbündeten nahezu total
zerstört wurden. Trotzdem kämpften und lebten die Menschen von Vinh
weiter und produzierten lebensnotwendige Güter. (Foto Irene
Feldbauer Feb. 1968).
Das Diem-Regime ging auf brutalste Weise gegen jegliche
Opposition vor
Versammlungen,
Demonstrationen und andere Protestaktionen, die oft nur die Einhaltung
der Genfer Abkommen
forderten, besonders die Bestimmung über die freien Wahlen, wurden
verboten. Demokratische Organisationen wurden aufgelöst, demokratische
Rechte und Freiheiten beseitigt. Bereits ein Jahr nach
der Verabschiedung der Genfer Abkommen waren in Südvietnam 40 700
Menschen verhaftet und 1563 getötet worden. Der Mediziner Erich Wulff
aus der Bundesrepublik Deutschland, der von 1961 bis 1967
an der Universitätsklinik von Hue arbeitete, schildert in seinem
unter dem Pseudonym Georg W. Alsheimer veröffentlichten Buch
«Vietnamesische Lehrjahre» (Frankfurt/Main 1972), dass von der
Diem-Polizei auch völlig unpolitische und unschuldige Menschen
verfolgt und eingesperrt wurden.
Die
französische Publizistin Madeleine Riffaud, Mitglied der Résistance
gegen Hitlerdeutschland, die nach
1954 Südvietnam besuchte, enthüllte vor dem zweiten Russell-Tribunal
1967, dass alle verfolgt und eingekerkert wurden, die sich für die
Einhaltung der Genfer Abkommen einsetzten. Das
Russell-Tribunal, auch als Vietnam-Kriegsverbrechen-Tribunal
bekannt, wurde ein Jahr zuvor vom britischen Mathematiker, Philosophen
und Literaturnobelpreisträger Sir Bertrand Russell Jean-Paul
Sartre, Simone de Beauvoir und andern gebildet. Ziel: die
Untersuchung und Dokumentation US-amerikanischer Kriegsverbrechen im
Vietnamkrieg nach 1954. Das Tribunal war unter dem Dach der Bertrand
Russell Peace Foundation tätig und arbeitete wie diese nach der
Arbeitsmethode nur Fakten sprechen zu lassen.
Gegen
«mutmassliche ehemalige Widerstandskämpfer» und «Familienangehörige der
Widerstandskämpfer» gegen das französische
Kolonialregime begannen «Verhaftungen und Folterungen,
Erniedrigungen und Hinrichtungen, mit dem Ziel, Exempel zu statuieren.
Die Diem-Agenten organisierten auf Empfehlung der Experten von der
psychologischen Kriegsführung in Washington ‚Buss-Sitzungen’. Die
Menschen sollten gezwungen werden, ihre patriotischen Überzeugungen
öffentlich zu widerrufen und um Gnade zu bitten, wobei sie
vor einem Bild Diems niederknien und die Fahne des Landes küssen
mussten». Frauen, deren Männer in der Volksarmee gekämpft hatten und
sich entsprechend den Genfer Abkommen nach Nordvietnam
zurückzogen, wurden zur Scheidung aufgefordert. Wenn sie sich
weigerten, wurden sie gefoltert, in Gefängnisse und Konzentrationslager
gesperrt. Südvietnam habe einem riesigen Internierungslager
geglichen. «Ich habe nirgendwo in Südvietnam eine vollständige
Familie gefunden. Mütter suchten ihre Kinder, die entführt worden waren;
Männer wussten schon seit Jahren nicht mehr, ob ihre Frauen
noch in Haft sassen oder längst umgebracht waren. (...) Ich stelle
hier vor dem Tribunal fest, dass in diesem Augenblick Tausende von
Männern, Frauen und Kindern in langsamer Auszehrung und unter
Haftbedingungen dahinvegetieren, die an das Los der Deportierten und
an die in den KZ von Auschwitz, Dachau und Mauthausen dahinsiechenden
Häftlinge erinnern.»
Gründung der Widerstandsorganisation
FNL
Am
20. Dezember 1960 gründeten 23 zumeist illegale Parteien,
Organisationen und buddhistische Sekten eine gemeinsame
Widerstandsorganisation, die Front National de Libération (FNL). Zu
ihrem Vorsitzenden wurde der Saigoner Rechtsanwalt Nguyen huu Tho
gewählt. Er war, wie der australische Publizist Wilfred
Burchett schrieb, «ein Gelehrtentyp, freundlich und sehr charmant,
gehörte seinem ganzen Wesen nach zu den liberalen Intellektuellen der
Grossstadt». Bereits 1954 hatte er zur Verwirklichung der
Genfer Abkommen das so genannte Saigon-Cholon-Friedenskomitee
gegründet, dem viele der im Geschäftsviertel von Cholon wohnenden
Intellektuellen angehörten. Die FNL forderte für Südvietnam freie
Wahlen zu einer Nationalversammlung. An die Stelle des US-hörigen
Saigoner-Regimes sollte eine Koalitionsregierung treten.
Bis
zur Gründung der Befreiungsfront, gibt es keine militärischen
Aktivitäten von Seiten des Nordens im Süden. Danach
wird der Beschluss, nun einzugreifen, unter schwierigen Bedingungen
gefasst. Man hat genug eigene Sorgen – ökonomischer Aufbau,
Schwierigkeiten und Fehler bei der Kollektivierung der
Landwirtschaft. Die DRV leugnet nicht, dass sie die FNL im Süden nun
mit allen Mitteln und Kräften unterstützt. Nachdem die FNL und weitere
Organisationen 1969 sich zur Republik Südvietnam (RSV)
mit einer provisorischen revolutionären Regierung konstituiert
hatten, erklärte Ministerpräsident Pham van Dong laut der
nordvietnamesischen Nachrichtenagentur Vietnam News Agency (VNA) vom 1.
März 1969: «Unsere 30 Millionen Landsleute sind entschlossen,
Schulter an Schulter zu kämpfen, ihre Kräfte und Fähigkeiten zu
vereinen, zu kämpfen und zu siegen und den Kampf an der
militärischen, politischen und diplomatischen Front zu verstärken
und mit Ausdauer fortzusetzen.»
Die
USA und die Saigoner Regierung stellten die FNL als eine Gefolgschaft
der nordvietnamesischen Kommunisten dar. Das
entsprach nicht den Tatsachen. Der französische Vietnam-Spezialist
Jean Lacouture, unter anderem Verfasser der Biografie «Ho Tschi Minh»
(Frankfurt / Main 1968), wies dies in seinem Buch «Vietnam
entre deux Paix» (Paris 1965) nach. So waren nach 1954 rund 90 000
bewaffnete Widerstandskämpfer aus dem Süden in den Norden zurückgekehrt,
von denen viele nach der Gründung der FNL nun nach
Süden zurück gingen. Das belegen auch die von der «New York Times»
ab 13. Juni 1971 veröffentlichten Geheimdokumente des Pentagon, die Neil
Sheehan als Buch «Die Pentagon-Papiere. Die geheime
Geschichte des Vietnamkrieges» (München/Zürich 1971) herausgab.
Darin steht: «Die meisten derjenigen, die zur Waffe griffen, waren
Südvietnamesen, und die Gründe, um derentwillen sie kämpften,
wurden durchaus nicht in Nordvietnam erfunden.»
Mitte Dezember 1967. In Nordvietnam ist die zweite Reisernte des Jahres im Gange. Zum Schutz gegen den amerikanischen Kugelhagel
tragen die Bauern der Deltaprovinz Hung Yen einen dicken Strohschild auf dem Rücken. (Foto Irene Feldbauer).
Der Ho chi Minh-Pfad entsteht
Nach
der FNL-Gründung wurde von der nordvietnamesischen Führung auch
beschlossen, zur Versorgung der Befreiungsfront mit
Waffen den so genannten Ho chi Minh-Pfad anzulegen, der
hauptsächlich auf laotischem und kambodschanischem Gebiet verlief. Denn
über die Strasse Nummer Eins, die von der chinesischen Grenze über
rund 1200 Kilometer bis hinein nach Saigon führte und im Norden seit
Beginn des Luftkrieges gegen die DRV ständig von der USA-Luftwaffe
bombardiert wurde, konnte dies nur teilweise erfolgen. Der
Ho chi Minh-Pfad führte bis nach Tay Ninh auf der Höhe Saigons durch
die Truong Son-Gebirge, die auch als die Kordilleren Vietnams
bezeichnet werden. Diese strategische Verkehrsader war rund 5000
Kilometer lang und bestand aus zwei breiten betonierten Strassen und
parallelen Ausweichstrassen, die von dichten Dschungelwäldern des
Bergmassivs bedeckt wurden. Neben dem Ho chi Minh-Pfad
verlief eine mit Ausweichleitungen ebenfalls etwa 3000 km lange
Erdöl-Pipeline, über die im Frühjahr 1975 die Versorgung der Panzer- und
motorisierten Einheiten zum Sturm auf Saigon
erfolgte.
Kennedy schickt Militärberater
1961
schickt der neu gewählte US-Präsident John F. Kennedy die ersten
hundert Militärberater und eine Spezialeinheit von
vierhundert Soldaten nach Vietnam. Schon im Jahr darauf erhöhen die
USA ihr Truppen-Kontingent in Vietnam auf 11000 Soldaten. Dies aus der
Einsicht, dass die verbrecherischen Regimes der
südvietnamesischen Generäle – nach Diems Ermordung, die von den USA
gebilligt worden war – im Süden niemals die Unterstützung der
Bevölkerung haben würden. Aus der langen Reihe von Ereignissen,
die die Menschen im Süden das Fürchten lehrten, seien nur deren drei
herausgegriffen: Nguyen Cao Ky, Premierminister in Saigon (1965 bis
67), bekannte öffentlich, ein Bewunderer Hitlers zu sein.
Um die ganze Welt ging das Bild, auf dem der Polizeipräsident von
Saigon vor den laufenden Kameras der Weltpresse einen
«Vietcong»-Gefangenen erschiesst. Berüchtigt waren die mörderischen
Konzentrationslager des südvietnamesischen Regimes, eingerichtet
unter anderem auf der Insel Poulo Condor im südchinesischen Meer, wo
über zehntausend Menschen eingekerkert waren. «Amnesty
International» berichtete im Dezember 1972, dass es in Südvietnam
insgesamt zwischen 200000 und 300000 politische Gefangene gebe. Es gab
den «Spezialkrieg» («Wehrdörfer-Programm»), den
«begrenzten Krieg» («chirurgische» Bombardierungen und
US-Bodentruppen), und schliesslich die «Vietnamisierung».
Tonking und «ungeheuerliche verlogene
Behauptungen»
In
der Bucht von Tonking werden am 2. August 1964 zwei US-amerikanische
Kreuzer angeblich von nordvietnamesischen
Patrouillenbooten beschossen. Die USA behaupten, die Kreuzer hätten
sich in internationalen Gewässern befunden und nehmen den Zwischenfall
zum Anlass, mit der Bombardierung erster Ziele den
Luftkrieg gegen Nordvietnam zu beginnen.
1968 wird durch eine Untersuchung des aussenpolitischen Ausschusses des US-Senats bekannt, dass US-Präsident Lyndon B. Johnson sich mit geradezu «ungeheuerlichen verlogenen Behauptungen», die seine Geheimdienste stützten, die Ermächtigung des Kongresses zu den Luftangriffen erschlichen hatte. Die US-Kreuzer hatten den Auftrag, für die geplanten Luftangriffe «die elektronischen und Radarsysteme Nordvietnams zu stimulieren, um deren Ortung zu ermöglichen. Sie waren in die Drei-Meilen-Hoheitszone Nordvietnams eingedrungen und hatten, wie es Senator Albert Gore nannte, «unmittelbar vor der Küste die Wellen gepflügt». Es wurde weiter bekannt, dass keiner der beiden US-Zerstörer von nordvietnamesischen Torpedos getroffen worden war. Aus einem Bericht des Hamburger Nachrichtenmagazins «Der Spiegel» (Nr. 12 / 1965) geht hervor, dass bereits Monate vorher ein als «Drehbuch» bezeichnetes Programm der Luftangriffe auf Nordvietnam erarbeitet wurde, das bereits vorsah, die nordvietnamesische Metropole Hanoi und das dicht besiedelte Mündungsgebiet des Roten Flusses zu bombardieren. Weitere Einzelheiten darüber, wie Johnson geplant hatte, den Krieg im Süden auf den Norden auszudehnen, wurden durch die bereits erwähnten Pentagon-Papiere 1971 bekannt. Für die ab August 1964 durchgeführten Luftüberfälle, die den «Marsch nach Norden» vorbereiten sollten, hatte der Präsident bereits im Februar 1964 den von der CIA vorgelegten Operationsplan 34 A bestätigt, der in Nordvietnam unter anderem See-Überfälle sowie Sabotageakte auf Eisenbahnen und Strassen vorsah. Das Ermächtigungsgesetz, das Johnson angeblich als Reaktion auf den Tonking-Zwischenfall am 16. August 1964 dem Kongress vorlegte, war bereits am 25. Mai 1964 ausgearbeitet worden.
Doppelt so viele Bomben als im Zweiten
Weltkrieg
In
den nächsten vier Jahren werden über Nordvietnam doppelt so viele
Bomben abgeworfen als im gesamten Zweiten Weltkrieg.
Der Norden antwortet mit einer völligen Dezentralisierung der
Wirtschaft und der Evakuierung von Hunderttausenden von Menschen aus den
Städten, damit sowohl Industrieanlagen als auch die
Bevölkerung ein weniger leichtes Ziel abgeben. Nach den Enthüllungen
des US-Senats musste Präsident Johnson am 1. November 1968 die
Einstellung der Luftangriffe auf Nordvietnam erklären. Im Juni
1970 annullierte der US-Kongress das Ermächtigungsgesetz vom 16.
August 1964.
1968,
auf der Höhe des Vietnamkrieges, haben die USA über eine halbe Million
Soldaten in Vietnam stationiert. Australien,
Neuseeland, Südkorea, die Philippinen und Thailand stellen zusammen
zusätzlich 90 000 Mann. Die südvietnamesische Armee hat rund eine
Million Soldaten unter Waffen. Die Nationale Befreiungsfront
stellt diesem Kontingent etwa 400 000 Mann entgegen.
Die
Kämpfer der Nationalen Befreiungsfront werden von den USA als
«Vietcong» bezeichnet, was übersetzt so viel heisst
wie: «vietnamesische Kommunisten». Es ist dies kein vietnamesisches
Wort, sondern eine amerikanische Verballhornung. Daraus wurde die
Abkürzung «VC» abgeleitet, die dann wiederum als «Victor
Charlie» in den Slang der US-Soldaten Eingang fand. Damit sollte
suggeriert werden, dass die gesamte Befreiungsbewegung und damit alle,
die sich gegen Unterdrückung wehren, «kommunistisch» und
damit «vernichtenswert» seien.
Am
1. Februar 1968 beginnen die Truppen der Nationalen Befreiungsfront
ihre gross angelegte Tet-Offensive auf
strategische Ziele in 105 südvietnamesischen Städten. Obwohl die
Befreiungsarmee überall, ausser in Hue, schnell zurückgeschlagen wird
und ausserordentlich hohe Verluste erleidet, gilt die
Tet-Offensive im Vietnamkrieg als Wendepunkt. Denn danach ist die
US-Regierung primär nicht mehr in der Lage, diesen Krieg zu gewinnen,
und will sich aus Südvietnam zurückzuziehen. Es beginnt,
was die «Vietnamisierung» des Krieges genannt wird. Allerdings gab
es dazu zwischen den US-Militärs, bzw. den amerikanischen Botschaftern
in Saigon und der Administration in Washington immer
wieder unterschiedliche Ansichten. Die amerikanischen Militärs in
Vietnam wollten diesen Krieg um jeden Preis gewinnen. Die Administration
zeigte immer wieder eher nur das Bedürfnis, aus dem
unpopulären Krieg irgendwie und einigermassen ehrenhaft
herauszukommen.
Endlich am Verhandlungstisch
Die
Tet-Offensive bringt die USA endlich an den Verhandlungstisch. Mit der
Einstellung der Luftangriffe auf Nordvietnam
am 1. November 1968, dem Ende der «Operation Rolling Thunder»,
beginnen sie ab 1970 ihre Truppen aus Vietnam abzuziehen. 1969 beginnen
in Paris die Verhandlungen über den Rückzug der
amerikanischen Truppen aus Vietnam und die politische Zukunft
Südvietnams. Am Tisch sitzen die USA, Südvietnam, Nordvietnam sowie die
«Provisorische Revolutionäre Regierung» der RSV. Zunächst
fanden zwischen den USA und der DRV Vorgespräche statt. Die
nordvietnamesische Delegation leitete das Politbüromitglied der Partei
der Werktätigen Vietnams (der KP der DRV) Le duc Tho, jene der
USA der Sicherheitsberater des Präsidenten, der spätere
Aussenminister Henry Kissinger.
Die
USA forderten zunächst, dass die Verhandlungen nur zwischen diesen
beiden Abordnungen geführt werden sollten. Ziel
war, die DRV als allein «kriegführende Seite» in Südvietnam und als
«Aggressor» hinzustellen. Die DRV forderte die Teilnahme der RSV als
gleichberechtigter Verhandlungspartner und akzeptierte
dafür die Saigoner Regierung als Gesprächspartner. Die USA mussten
dem schliesslich zustimmen. Bevor die Pariser Gespräche ein Ergebnis
bringen, reduzieren die USA 1972 die Stärke ihrer Truppen
in Vietnam auf unter 100 000 Mann.
Zum Abzug ihrer Truppen aus Südvietnam veranlasste das Pentagon auch die sinkende Moral seiner Soldaten. Der Hauptfeldwebel Donald Duncan erklärte im Dezember 1966 im «Weekend Magazin», die US-Truppen befänden sich gegen den Willen der Bevölkerung in Südvietnam, ja zur Unterdrückung ihres antiamerikanischen Widerstandes. «Die Vietnamesen lehnen uns ab». Der Vietcong bringe in fast jeder Provinz Truppen in Divisionsstärke in den Kampf. Solches Wachstum sei nur möglich mit der Unterstützung des Volkes, dazu bedürfe es «geradezu überwältigender Zustimmung» , so Donald Duncan. Er war 18 Monate in Südvietnam, hatte 32 Absprünge im «feindlichen Gebiet» absolviert, mehrere Auszeichnungen erhalten, war für den «American Silver Star», eine der höchsten US-Kriegsauszeichnungen, vorgeschlagen und sollte zum Hauptmann befördert werden.
Am
6. März 1968 griff die amerikanische Armee die Lac Trung-Strasse in
Hanoier Stadtbezirk Hai Ba Trung an.18 Sprengbomben wurden
abgeworfen. Unter den Todesopfern war auch die dreijährige Trung Thi
Quang (rechts im Vordergrund der Kinderwagen des Mädchens). Getötet
wurde auch seine Mutter, Trung Thi Son.15 Wohnhäuser
wurden völlig zerstört. (Foto Irene Feldbauer).
Hunderttausende desertierten
Zwischen
1966 und 1972 kam es zu 423 422 Desertionen und unerlaubten
Entfernungen von der Truppe. Die Zahl der Deserteure
war dreimal höher als zu irgendeinem Zeitpunkt des Koreakrieges. 250
000 Armeeangehörige schrieben Beschwerdebriefe an Kongressabgeordnete.
Nach der Wiederaufnahme des Luftkrieges gegen
Nordvietnam 1972 kam es auf allen beteiligten Flugzeugträgern zu
Unruhen. Von der «Oriskany» desertierten 25 Matrosen. Auf der «Kitty
Hawk» protestierten in Subic Bay auf den Philippinen hundert
schwarze Matrosen gegen einen neuen Vietnameinsatz. Gegen die
Marines, die gegen sie vorgingen, setzten die Verweigerer sich mit
Ketten, Schraubenschlüsseln und Rohren stundenlang zur Wehr. Als
der Zerstörer «Coral See» nach Vietnam auslaufen sollte,
protestierte ein Viertel der Mannschaft gegen den Einsatz, 35 Matrosen
blieben in Kalifornien zurück. 1971 gab es laut einer
Kongress-Untersuchung auf Kriegsschiffen 488 Beschädigungen oder
Versuche dazu,191 Sabotageakte und 135 Brandstiftungen. Der
Flugzeugträger «Ranger» war durch zwei ins Getriebe einer Maschine
geworfene 30-Zentimeter-Schrauben über drei Monate nicht
einsatzfähig. Nach einer Brandlegung im Radarraum fiel der
Flugzeugträger «Forrestal» für zwei Monate aus.Während der mörderischen
Bombardements auf Hanoi im Dezember 1972 weigerte der
«Phantom»-Pilot Captain Dwight Evans zu starten. Captain Michael Heck
lehnte den Einsatz mit seiner B-52 ab.
Die
Juni-Ausgabe 1971 des «Armed Forces Journal» schrieb: «Moral, Disziplin
und Kampfbereitschaft der US-Streitkräfte
befinden sich mit einigen wenigen herausragenden Ausnahmen auf einem
Tiefpunkt und in einem schlimmeren Zustand als jemals zuvor in diesem
Jahrhundert, vielleicht sogar in der Geschichte der
Vereinigten Staaten. Nach jedem nur denkbaren Massstab steht unsere
Armee, die sich jetzt noch in Vietnam aufhält, vor dem Zusammenbruch.
Ganze Einheiten weichen dem Einsatz aus oder verweigern
ihn, sie ermorden ihre Offiziere und Unteroffiziere, sind
drogensüchtig und mutlos oder stehen kurz vor der Meuterei.» Der
Widerstand ihrer eigenen Soldaten gegen den Kriegseinsatz in Vietnam war
einer der Faktoren, der das Pentagon zum Abzug der Bodentruppen aus
Südvietnam veranlasste.
Während
der Pariser Verhandlungen erklärt Hanoi sich bereit, schon vor einem
Abkommen die Forderung der USA zu erfüllen
und mit der Freilassung ihrer über Nordvietnam abgeschossenen
Piloten zu beginnen. Die FNL ist bereit, in Südvietnam mit der Saigoner
Regierung ein Kabinett der Nationalen Einheit zu bilden. An
einer solchen Koalitionsregierung sollen auch andere Parteien in
Südvietnam sich beteiligen können. Dazu gehören als «dritte Kraft» eine
bürgerliche Opposition gegen den südvietnamesischen
Präsidenten Nguyen van Thieu und buddhistische Gruppierungen.
Nachdem die USA und Saigon die Bildung
einer Koalitionsregierung in Südvietnam abgelehnt haben, beginnt am
30. März 1972 eine Frühjahrsoffensive der Befreiungsfront und der
nordvietnamesischen Truppen in Südvietnam.
Die USA und Saigon
lehnten die Bildung einer Koalitionsregierung in Südvietnam
ab ...
...
und hielten sich nicht an die Bedingungen des Waffenstillstandes. Sie
überließen der Saigoner Armee nicht nur die
Waffen ihrer abziehenden Truppen, sondern lieferten ihr zusätzlich
Waffen und Ausrüstungen, sie wurde, wie es in Quellen hiess, zur
zweitgrössten Streitmacht in Asien - hinter der VR China -
aufgerüstet. US-Militärberater blieben als Zivilisten in Stärke von
25.000 Man bis hinunter zur Kompanie als Berater in Südvietnam tätig.
12.000 Saigoner Offiziere wurden in die USA zu
Fortbildungslehrgängen geschickt. Unter Verstoß gegen die
Festlegungen im Waffenstillstandsabkommen über den Ersatz militärischen
Materials erhielt die Saigoner Armee zwischen Januar und Juli
1973 zusätzlich Flugzeuge, Panzer, Geschütze und Kriegsschiffe,
darunter auch chemische Kampfstoffe.
Das Friedensabkommen wurde gebrochen durch neue Angriffe auf die befreiten/RSV-Gebiete (im Waffenstillstandsabkommen hieß es ja, die Kräfte der Seiten sollen dort stehen bleiben, wo sie sich befinden. Der »U.S. News & World Report» schrieb am 4. Februatr1974, die Saigoner US-Botschaft bilde das »Ost-Pentagon», ein »gefechtsbereites Zentrum, das sich in nichts von einem Kommandoposten aus der Zeit unterscheidet, als die Amerikaner noch am Kampf teilnahmen:»
Saigon verweigerte auch die in den Abkommen festgelegte Freilassung von rund 200.000 eingekerkerten Menschen, und sperrte stattdessen noch 60.000 weitere ein. Das führte dann dazu, dass die FNL/RSV sich mit ihrer Offensive auch nicht mehr an die Abkommen hielt.
Das Friedensabkommen wurde gebrochen durch neue Angriffe auf die befreiten/RSV-Gebiete (im Waffenstillstandsabkommen hieß es ja, die Kräfte der Seiten sollen dort stehen bleiben, wo sie sich befinden. Der »U.S. News & World Report» schrieb am 4. Februatr1974, die Saigoner US-Botschaft bilde das »Ost-Pentagon», ein »gefechtsbereites Zentrum, das sich in nichts von einem Kommandoposten aus der Zeit unterscheidet, als die Amerikaner noch am Kampf teilnahmen:»
Saigon verweigerte auch die in den Abkommen festgelegte Freilassung von rund 200.000 eingekerkerten Menschen, und sperrte stattdessen noch 60.000 weitere ein. Das führte dann dazu, dass die FNL/RSV sich mit ihrer Offensive auch nicht mehr an die Abkommen hielt.
1968. Diese Schüler und Schülerinnen wurden in Nordvietnam in einen schützenden Wald evakuiert. (Foto Irene
Feldbauer).
«Vietnam in die Steinzeit
zurückbomben»
In
Washington erwägt man, die Vietnamisierung zu unterbrechen. Dass hätte
jedoch, wie die «Financial Times» schreibt, für
Präsident Richard M. Nixon, der sich zur Wiederwahl stellt, den
«politischen Selbstmord» bedeutet. In dieser Situation unterbrechen die
USA ihre Teilnahme an den Verhandlungen in Paris und nehmen
die Luftangriffe auf Nordvietnam wieder auf. Sie begründen dies mit
einer Aggression der DRV in Südvietnam. Hanoi bekräftigt am 26. April
1972 seine Unterstützung für die Befreiungsfront und
beschuldigt die USA der Aggression, in dem es erklärt: «An jedem Ort
des vietnamesischen Territoriums, wo es eine Aggression gibt, haben
alle Vietnamesen das Recht und die Pflicht, gegen die
Aggressoren zu kämpfen, um die Unabhängigkeit und Freiheit des
Vaterlandes zu verteidigen.»
Die
Bombardierung nordvietnamesischer Städte setzt mit grösserer
Grausamkeit als je zuvor ein. Das intensive Bombardement
durch amerikanische Kampfflugzeuge zwingt die nordvietnamesischen
Truppen, ihre Offensive im Süden abzubrechen. Die erneute Bombardierung,
mit der man nach den Worten des US-Generals Curtis LeMay
«Vietnam in die Steinzeit zurückbomben»wollte, hält acht Monate an.
Eingesetzt werden auch die strategischen achtstrahligen
Langstreckenbomber B-52, wegen ihrer Flughöhe von 16 bis 17 Kilometern
auch «Stratofortress» (Stratosphärenfestung) genannt. Sie können
eine Bombenlast von bis zu 32 Tonnen transportieren. In der Hafenstadt
Haiphong, Umschlagplatz für die Waffenlieferungen aus der
UdSSR, legen die B-52 ganze Wohnviertel in Schutt und Asche. Die
US-Marine vermint aus der Luft auch alle Häfen Nordvietnams, um den
Nachschub aus der UdSSR auf dem See-Weg zu blockieren. Entlang
des Roten Flusses werden die Deiche bombardiert. Am 18. Dezember
1972 beginnen Angriffe auch auf Hanoi, B-52 fliegen in den folgenden
zwölf Tagen 500 Einsätze auf die Stadt. Die internationale
Presse berichtet, dass über Nordvietnam mehr als 100 000 Tonnen
Bomben und Raketen gewaltige Schäden anrichten und es Tausende Tote
unter der Zivilbevölkerung gibt. Nur zwölf Prozent der
angegriffenen Ziele seien militärische Objekte. Allein in Hanoi gibt
es fast 4000 Tote.
Es
gelingt jedoch nicht, die DRV in die Knie zu bomben. Die Londoner
«Daily Mail» schreibt, Nixon habe wohl «nicht mit
dem Erfolg der Raketen sowjetischer Bauart und ihrer
nordvietnamesischen Bedienungsmannschaften gerechnet, die täglich zwei
der riesigen Bomber mit acht Triebwerken abgeschossen haben.Insgesamt
verliert die US Air Force in der letzten Luftschlacht über
Nordvietnam 33 B-52. Insgesamt wurden 1972 über der DRV von 200 dieser
im Pazifik stationierten «Stratofortress» 54 abgeschossen.
Die letzten US-Kampftruppen verlassen
Vietnam
Angesichts
der Erfolglosigkeit und unter dem wachsenden Druck weltweiter Proteste
stellt Nixon am 15. Januar die
Luftangriffe ein. Am 27. Januar werden die Pariser Abkommen
unterzeichnet. Die Verträge enthalten ein Waffenstillstandsabkommen,
legen die Bildung einer souveränen Regierung in Südvietnam und die
friedliche Wiedervereinigung Nord- und Südvietnams fest, ferner,
dass die Streitkräfte beider Seiten dort verbleiben, wo sie sich
befinden. Das bedeutete, dass die von der FNL kontrollierten
Gebiete als solche anerkannt werden. Zur Verwirklichung der Verträge
wird in La Celle-Saint Cloud bei Paris eine Konsultativkonferenz der
FNL und der Saigoner Regierung eingerichtet. Danach
verlassen im März 1973 die letzten amerikanischen Kampftruppen
Vietnam.
Nach
den Pariser Verträgen konnten die USA den Krieg in Südvietnam unter
halbwegs ehrenvollen Bedingungen
beenden. Sie hielten sich jedoch nicht an die Abkommen bzw. liessen
ihre Marionetten in Saigon diese systematisch sabotieren. Der
Saigoner Präsident Thieu erklärte am 9. März 1973 seine Regierung
und seine Armee «zur einzigen in Südvietnam». Am 12. Oktober drohte er,
wer sich als «Neutralist oder Pro-Kommunist bezeichnet,
überlebt keine fünf Minuten». Am 28. Dezember 1973 kündigte er an:
«Es wird keine Wahlen geben, keinen Frieden, und die Konferenz von La
Celle-Saint Cloud wird niemals zu einer politischen Lösung
führen.» Am 16. April 1974 verliessen die Vertreter Saigons die
Konferenz, die damit scheiterte.
Wie bei McNamara (1961- 68 US-Verteidigungsminister) nachzulesen ist, war die Vietnampolitik aller beteiligten US-Präsidenten von zwei Elementen geprägt: Erstens von absoluter Ignoranz des Landes und seines Volkes, zweitens von einem fundamentalistischen Festhalten an der «Domino-Theorie», die von keinem Vietnamkenner ernst genommen wurde. Doch kritische Wissenschaftler in den USA wurden systematisch vom Präsidenten ferngehalten. Die Domino-Theorie besagte: Wenn ein Staat «kommunistisch» wird, fallen alle Nachbarn wie Dominosteine um und werden ebenfalls kommunistisch. Diese Theorie hatte Eisenhower am 7. April 1954 verkündet. Daraus wurde als allgemeines Konzept das so genannte Containment, die «Eindämmungs»-Politik abgeleitet.
Dezember 1967. Nordvietnamesische Genossenschaftsbauern bringen die zweite Reisernte des Jahres ein, wie hier in der Gemeinde
Chinh Nghia in der Deltaprovinz Hung Yen. (Foto Irene Feldbauer).
Ein dreissigjähriger Krieg geht zu
Ende
1975
bricht das südvietnamesische Regime zusammen. Seine durch die USA
hochgerüsteten Streitkräfte – in Vietnam werden
sie «Marionetten-Armee» genannt – sind durch Massendesertationen und
verlorene Kampfmoral äusserst geschwächt. Eine von den
nordvietnamesischen Generälen Giap und Dung geleitete Offensive bringt
deshalb überraschend schnell einen militärischen Sieg. Einen Sieg,
für den man sich auf noch zwei Jahre Krieg eingerichtet hatte. Mit der
Einnahme Saigons am 30. April 1975 geht ein zuerst von
den Franzosen und dann von den Amerikanern geführter fast
dreissigjähriger Krieg zu Ende.
Es
steht ausser Zweifel, dass eine entscheidende Bedingung des Sieges
Vietnams die Hilfe vor allem der UdSSR war.
Sie schickte modernste konventionelle Waffen, darunter Mig-Jäger,
Luftabwehr-Systeme mit Raketen, Panzer und Artillerie und bildete das
dazu erforderliche Personal aus. Doch der Faktor, der
letztlich dazu führte, dass diese Bedingung wirksam wurde, war der
nicht zu brechende Widerstandwille des Volkes, der ungeheuren Opfer an
Menschenleben forderte, an Gesundheit und Schäden an Hab
und Gut.
Ungeheure Opferzahlen
Nach
einem UNO-Kommissionsbericht von 1978 und weiteren Quellen sind eine
Million Südvietnamesen als
Soldaten gefallen, zwei Millionen Zivilsten wurden getötet, weitere
zwei Millionen verstümmelt. Andere Quellen führen an, dass im zweiten
Vietnamkrieg zwischen zwei und vier Millionen vietnamesische Zivilisten und über 1,3 Millionen vietnamesische Soldaten ums Leben kamen. Über
zehn Millionen Bauern – fast die Hälfte der Einwohner Südvietnams –
wurde durch Bomben oder Gewalt aus
ihren Dörfern Vertriebene. 800 000 Kinder wurden Waisen. Es gab eine
halbe Million Prostituierte, davon 50 000 in Saigon, das als grösstes
Bordell der Welt galt. Zudem gab es 500 000
Drogenabhängige, 300000 Geschlechtskranke, eine Million Tuberkulose-
und 10 000 Leprakranke sowie Millionen von Agent Orange-Opfer.
Die
DRV hat nie Angaben über die Schäden und Verluste veröffentlicht,
welche die USA in Nordvietnam
anrichteten. Die bereits zu Südvietnam genannten Quellen nennen von
den zwanzig Millionen Nordvietnamesen 500 000 Kriegstote und ebenso
viele Kriegswaisen. Alle Städte wurden bombardiert, die
Hälfte in Schutt und Asche gelegt, 2923 Schulen, 250 Krankenhäuser,
1500 Pflege- und Entbindungsstationen, 448 Kirchen, 495 Pagoden und
Tempel waren zerstört. Alle Industrieanlagen wurden
teilweise zerstört, Eisenbahnlinien und Häfen beschädigt, die
meisten Brücken und Bahnhöfe und eintausend wichtige Deichabschnitte
zerstört. Hunderttausende Hektar Reisfelder und andere
Anbauflächen vernichtet. 40 000 Wasserbüffel getötet, eines der
wichtigsten Arbeitsmittel der Landwirtschaft. Laos und Kambodscha, die
Nebenschauplätze des USA-Kriegs in Vietnam, hatten ebenfalls
Hunderttausende Opfer zu beklagen. Auf amerikanischer Seite fielen 58 220 US-Soldaten und 5264 ihrer Verbündeten.
Agent Orange: Zukünftige Folgen bewusst in Kauf
genommen
Der
USA-Krieg in Vietnam war nach dem Zweiten Weltkrieg der bis dahin
verbrecherischste Krieg, in dem systematisch
Völkermord verübt wurde. Barbarische Verbrechen wurden mit dem Gift
Agent Orange begangen. Mit seinem Einsatz in Südvietnam wurde erstmals
ein Krieg bewusst so geführt, dass die angerichteten
Zerstörungen und Folgen nicht auf die betroffenen Generationen
beschränkt blieben. «Das Kriegshandeln der USA kalkulierte bewusst
zukünftige und unabsehbare Folgen mit ein oder nahm sie ohne
Skrupel in Kauf», schrieb Karl Rainer Fabig in einem Beitrag «Agent
Orange vor Gericht» im Vietnam Kurier 1 / 2005 (Zeitschrift der
Gesellschaft für die Freundschaft zwischen den Völkern in der
Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik
Vietnam).
Auf Grund der Schwere der Verbrechen war der von den USA 1961 begonnene Einsatz chemischer Kampfstoffe in Südvietnam auch
ein Schwerpunkt der Untersuchung des Russell-Tribunals an seiner Sitzung im Mai 1967 in Stockholm.
Obwohl
Agent Orange zunächst in milden Konzentrationen noch als relativ
unschädliches
Unkrautvertilgungsmittel verwendet wurde, waren zu dieser Zeit in
den USA dieses Herbizid bereits verboten. In Südvietnam wurde dieses
dioxinhaltige Entlaubungsgift in hohen
Konzentrationen eingesetzt, erstmals am 10. August 1961.
Zwischen
1962 und 1971 wurden mehr als 80 Millionen Liter giftige Chemikalien
ausgebracht.Der überwiegende Teil davon
bestand aus «Agent Orange». Eingesetzt wurde es unter anderem über
Aufmarschgebieten der «Viet Cong». Der Gifteinsatz richtete sich aber
vor allem gegen die Zivilbevölkerung. Es handelte sich um
chemische Kampfstoffe, um giftige, erstickende oder ähnliche Gase
sowie um bakteriologische Mittel, deren Einsatz das Genfer Protokoll vom
17. Juni 1925 verbot. Die USA traten diesem Abkommen
erst 1975 bei, nach Kriegsende.
Das
Russell-Tribunal hielt in Stockholm fest, dass bis Ende 1966 rund 1,9
Millionen Hektar landwirtschaftliche
Nutzfläche, meist Reisfelder, vernichtet wurden. Als die zweite
Tagung im November / Dezember 1967 im dänischen Roskilde zusammentrat,
waren 1967 weitere 876 000 Hektar hinzugekommen. Der
chemische Krieg ging aber weiter. 1969 wurden über 900 000 Hektar
Anbaufläche und damit 75 Prozent der Reiseernte und 90 Prozent des
Gemüseanbaus vergiftet sowie fast die Hälfte der Wälder
vernichtet. Die französische Publizistin Dominique Bari berichtete
nach Untersuchungen in Südvietnam, dass das eingesetzte «Agent Orange»
bei Menschen und Tieren schwere Vergiftungen verursachte,
zu zahlreichen Todesfällen führte und die gesamte Vegetation
austrocknete. Kalkstickstoffe entlaubten die Bäume und liessen ihre
Früchte absterben.
Insgesamt
waren 17 Millionen Menschen dem Gift ausgesetzt. Nach bisherigen
Erkenntnissen wurden drei
Millionen Menschen schwer geschädigt, eine Million erkrankte an
Leukämie. Lungentumore und Leberkrebs forderten unzählige Opfer. Etwa
100 000 Kinder trugen schwere Geburtsschäden davon: Säuglinge
ohne Augen, mit Wasserköpfen und Klumpfüssen oder mit Gaumenspalten,
viele geistig behindert und taub. Wo während des Krieges Agent Orange
niederging, halten die Folgen noch heute an – in der
dritten Generation.
Januar
1970. Junge Mädchen der 800 Quadratkilometer grossen Spezialzone Vinh
Linh der DRV tragen Bombenteile weg. Bis zu diesem
Zeitpunkt warfen die USA in vier Jahren 500 000 Tonnen Bomben über
diesem Gebiet ab. Schiffsartillerie und weitreichende Feldgeschütze
belegten Vinh Linh im gleichen Zeitraum mit 700 000
Granaten. (Foto Irene Feldbauer).
Pressekonferenz 1968 in Hanoi mit zwei abgeschossenen US-Piloten. (Foto Irene Feldbauer).
Hanoi, Ende Oktober 1967. Ein 72-jähriges Opfer der Bombardierung der Hanoier Stadtbezirkes Hoan Kiem. Die Frau wurde im
Magen-Darm-Bereich verletzt. (Foto Irene Feldbauer).
Vier
Jahre in Bunkern unter der Erde. Oft sahen die Menschen von Vinh Linh,
der Spezialzone am 17. Breitengrad, während des
Krieges während Monaten kein Sonnenlicht. Sie konnten ihre Bunker
nicht verlassen. Draussen lauerte der Tod aus amerikanischen
Bombenschächten und von Artilleriegeschützen. In den Dörfern entlang
des knapp 100 Kilometer langen Grenzstreifens am Ben Hai wurden 50
000 Bunker gebaut und fast 1500 Laufgräben ausgehoben. In den Bunkern
lebten und arbeiteten die Menschen, Verwundete wurden
operiert und selbst Kinder wurden geboren. (Foto Irene Feldbauer,
Januar 1970).
Der Vietnamkrieg und die Medien – Entsetzen ohne
Entsetzen
Der
Vietnamkrieg wurde durch die besondere Berichterstattungspraxis des
US-Journalismus, durch dessen gute
Tradition der «Objektivität», zu einem «Medienereignis». Erstmals in
der Geschichte wurde über die unmittelbar Beteiligten hinaus ein
tiefergehendes Bild vermittelt über die Grausamkeit «moderner
Kriegstechniken». Vor allem die sichtbar gemachte Tatsache, dass
«moderne» Kriege vornehmlich gegen die Zivilbevölkerung des Gegners
geführt werden, schockierte die amerikanische, ja die ganze
Weltöffentlichkeit.
In
Vietnam haben die USA gelernt, dass man die Medien nicht mehr so frei
an die Schauplätze lassen darf. Das wurde
konsequent zunächst in Grenada, dann aber vor allem im Golfkrieg
(1991) deutlich. Eine so strikte Medienzensur wie im Golfkrieg hat es
zuvor in der modernen Geschichte noch nicht gegeben.
Welchen
Einfluss die Fernsehbilder auf die Wahrnehmung haben können, zeigte das
Beispiel der Journalistin Marina Warner.
Gewöhnt an die Vietnamkrieg-Spots, kam sie als Journalistin nach
Vietnam. Ihr Entsetzen war, dass sie ohne Entsetzen war. Die
Fernsehbilder hatten sie ausgelaugt und ihre Erlebnisfähigkeit
getötet. In Saigon lief ihr eine schreiende Frau mit ihrem Kind
entgegen, dem die Haut in Fetzen hing. Marina Warner erinnert sich: «Ich
sagte zu mir: Mein Gott, das habe ich schon alles im
Fernsehen gesehen. Ich war nicht so schockiert, wie ich es erwartet
hatte.» Die Kunstwissenschaftlerin Annegret Jürgens-Kirchhoff
kommentierte: «Der an Bilder aus zweiter Hand gewöhnte Blick ist
in Gefahr, auch in grösster Nähe zur Realität noch einer von außen
zu bleiben.» Die Bilder aus dem Vietnamkrieg, vor allem die Fotografien,
haben die Wahrnehmung allerdings nicht nur abgestumpft,
sondern auch mobilisiert. Der Protest gegen den Vietnamkrieg kam
auch von den Bildern in Zeitschriften und Illustrierten, die in den
Wohnzimmern lagen «wie ein Blutfleck auf dem Teppich», so
Jürgens-Kirchhoff.
US-amerikanische
Journalisten trugen dazu bei, barbarische Kriegsverbrechen der USA in
Vietnam zu entlarven. Zu ihnen
gehörte der Fotoreporter Ronald L. Häberle, der zusammen mit dem
Journalisten Five Jay Roberts bei dem Verbrechen in My Lai zugegen war.
In dem Dorf im Norden Südvietnams wurden am 16. März 1968
von einer Kompanie unter dem Befehl von Leutnant William Calley 502
Einwohner auf sadistische Weise ermordet. Häberle und weitere Zeugen
sagten später aus: «Leutnant Calley entdeckte 150
Personen, die sich in einem Graben versteckt hatten, in der Mehrzahl
Frauen und Kinder. Als einige von ihnen furchtsam aus ihrem Versteck
hervor kamen, mähte Calley sie erbarmungslos nieder und
forderte seine Soldaten auf, seinem Beispiel zu folgen. Es wurde
geschossen, bis kein Lebenszeichen mehr kam. Aber nachdem das Feuer
eingestellt worden war, erhob sich aus diesem Blutbad, fast
wie ein Wunder, ein etwa zweijähriges Kind, das verzweifelt weinend
versuchte, in Richtung Dorf zu laufen. Leutnant Calley packte es, warf
es wieder in den Graben und erledigte es mit seiner
Waffe.» Andere Zeugen sprachen von Menschen, die von Bajonetten
verstümmelt in Blutlachen lagen. «GIs hatten Ohren oder Köpfe
abgetrennt, Kehlen aufgeschlitzt und Zungen herausgeschnitten, Skalps
genommen.» An anderen Stellen lagen «tote Frauen mit aufgeschlitzter
Vagina», in einem Fall hatten Sadisten «einen Gewehrlauf eingeführt und
abgedrückt.»
In
My Lai wurde – auch durch Berichte und Augenzeugen bestätigt – kein
einziger Soldat der FNL angetroffen.
Hauptmann Ernest Medina, Kommandeur des Bataillons, zu dem die
Kompanie Leutnant Calleys gehörte, berichtete jedoch, es seien «69
Vietcong-Soldaten getötet» worden. Im offiziellen Kriegsbulletin,
das die «New York Times» am 17. März 1968 veröffentlichte hiess es:
«Zwei amerikanische Kompanien näherten sich von entgegengesetzten Seiten
den feindlichen Stellungen und mit schwerem Sperrfeuer
und unter Einsatz von Kampfhubschraubern vernichteten sie die
nordvietnamesischen Soldaten.»
Die
Zeugenaussagen riefen einen Sturm der Proteste hervor. Seymor Hersh
nannte My Lai «ein Verbrechen im Stile der
Nazis». Als sich ein Gericht mit dem Massenmord befassen musste,
wurde als einziger Leutnant Calley angeklagt und verurteilt. Präsident
Nixon liess ihn 1974 frei. Er musste keinen einzigen Tag im
Gefängnis verbringen, sondern stand bis zu seiner Freilassung
lediglich unter Hausarrest. Nach seiner Haltung zum Verbrechen in My Lai
1971 vom Journalisten John Sack befragt, sagte Calley: «Ich
verkörpere nur die Vereinigten Staaten von Amerika, mein Vaterland»,
und fügte hinzu: «Ich war gern in Vietnam.»
My
Lai war kein Einzelfall. Lieutenant Colonell David Hackworth,
Bataillons-Kommandeur der 9. Infantery Division, gab zu,
dass es im Kriegsalltag in Vietnam «Tausende derartiger Gräueltaten»
gegeben habe. Dem Buch des deutschen Historiker Bernd Greiner «Krieg
ohne Fronten. Die USA in Vietnam» (Hamburg 2007), das die
«Neue Zürcher Zeitung» eine meisterhafte Darstellung des
Kriegsalltages in Vietnam» nannte, war zu entnehmen, dass die Zahl der
bei derartigen, wohlgemerkt bekannt gewordenen, Operationen
systematisch ermordeter Zivilisten, darunter immer wieder vor allem
Frauen und Kinder, in die Hunderttausend gehen dürfte. Und diese
Operationen gingen auf direkte Weisungen des
US-Oberkommandierenden in Südvietnam zurück. Präsident Johnson
forderte sieben Monate nach My Lai von General Creighton Abrams, seit
Sommer 1968 Nachfolger von William Westmoreland als
Oberkommandierender, mit derartiger «Unterdrückung jedes
Widerstandes fortzufahren» und es dem Feind «zu geben wie gehabt».
Text: Gerhard Feldbauer und Peter Jaeggi
Irene und Gerhard Feldbauer im April 1968 im Einsatz als
Krigesreporter-Ehepaar aus der damaligen DDR. Die Bilder auf dieser
Seite stammen von Irene Feldbauer, der Text überwiegend von
Gerhard Feldbauer.
Wann begann der Vietnamkrieg?
Von Ph. Le Trong, Lehrbeauftragter am Institut für Orient- und Asienwissenschaften, Abt. Südostasien
Zu
der Frage des Kriegsbeginn gibt es unterschiedliche Meinungen.
Diese stehen weiterhin im Raum und bleiben – so kontrovers wie sie
sind – spannend für die weitere Beschäftigung mit dem Vietnamkrieg.
Kriegsbeginn 1960
Den
Kriegsbeginn mit 1960 anzugeben ist auf jeden Fall und aus meiner Sicht
wohl begründet. Vor allem weil der
«Vietnamkrieg» in seiner Gesamtperspektive auch ein Bürgerkrieg war –
zwischen Nord und Süd und innerhalb des Südens. Lesen Sie weiter unten.
Kriegsbeginn 1955
Hierfür
steht meist als Argument, dass das Genfer Abkommen gescheitert war und
Nordvietnam, das damals
eigentliche unabhängige Vietnam, auf jeden Fall die Einheit des
Landes herbeiführen wollte. Die Datierung 1955 steht im Gesamtkontext
der «Indochinakriege»:
- Indochinakrieg I (Antikolonialkrieg gegen Frankreich)
- Indochinakrieg II (der Krieg danach, also Vietnamkrieg)
- Indochinakrieg III (der Grenzkrieg gegen China, die Invasion Kambodschas)
November 1,
1955: This
is the date
officially chosen by Congress to mark the deaths of Americans in
Vietnam due to the establishment of MAAG by President Harry Truman. The
Military Assistance Advisory Group of Indochina was
established in September of 1950 when the French requested the help
of the United States in their conflict with North Vietnam. The MAAG took
over the responsibility of South Vietnam
forces.
Kriegsbeginn 1963
Aus
US-Perspektive begann der Vietnamkrieg für viele am 2. Januar 1963 mit
dem Angriff der «Viet Cong» auf Ấp
Bắc im Mekong-Delta: «The Battle of Ap Bac marked the first time
they decided to stand and fight a large South Vietnamese formation.»
Hier waren zum ersten Mal US-Militärs involviert mit Toten
und Verletzten. Oder eben mit dem Tonkin-Zwischenfall.
Quelle:
Wissenschaftliche
Arbeiten
Zwei Autoren, die zu diesem Komplex Aufschlussreiches sagen:
1) William S. Turley in seinem Buch «The Second Indochina
War – A Concise Political and Military History», 2009, Lanham, Maryland.
Truley listet in seiner Chronik auf:
1959
January 12–22: Fifteenth Plenum of the Central Committee approves limited armed struggle in the South. March:
Political Bureau authorizes establishment of revolutionary base area in the South’s central highlands.
May
6: Diem government issues Law 10/59, which sets up military tribunals
to mete out harsh penalties for
involvement with the revolutionary movement. U.S. advisers are
assigned to ARVN infantry at regiment level, marines at battalion level.
May: Hanoi’s Ministry of Defense commissions
transporta-tion groups to infiltrate men and supplies in May.
August 28: Party cadres stir ethnic minority dissidence in highlands of Tra Bong district, Quang Ngai
province.
August: Group 559 of the People’s Army of Vietnam (PAVN) delivers first load of arms to the South.
1960
January 17: Concerted uprisings in Ben Tre province spread across Mekong delta.
January 26: Communist-led forces attack ARVN Fifth Regiment near Tay Ninh city.
August 9: Neutralist military coup restores Souvanna Phouma to power in Vientiane. U.S.-backed rightists
counterattack, and Laos slides into civil war.
September
5–19: Third National Congress of the Vietnam Workers’ party adopts dual
objectives of socialist
construction in the North and struggle for reunification in the
South, chooses new (3rd) Central Committee, elects Le Duan as party
first secretary.
November 8: John Kennedy elected president.
December 20: National Liberation Front (NLF) is unveiled at Congress of People’s Representatives in the
South.
December 3: U.S. military personnel in Vietnam total about 900.
2) «Hanoi’s Road to the Vietnam War, 1954–1965», 2013, Berkeley and Los Angeles: University
of California Press. Hier untersucht Pierre Asselin explizit die «Resolution of the Fifteenth Plenum (expanded): On Increasing Unity and Determination to Struggle
to Preserve Peace and Achieve Unification of the State» und sagt dazu:
«After
January 1959, Hanoi’s strategic priorities – pursuing socialist
development in the DRVN, precluding
American intervention in Indochina, accommodating the Cold War
concerns of key allies, and encouraging international support for ist
revolutionary cause— remained unchanged. Resolution 15 was
indeed a 'relatively muted' response to the situation in the South.»
Und:
«The
importance of Resolution 15 has thus been overstated by historians,
especially those in Vietnam. It marked
the onset of an insurgency below the seventeenth parallel, of a ‘new
politicomilitary struggle,’ to be sure, but not of an actual, truly
national ‘war of liberation.’ As Ang Cheng Guan surmises,
the armed struggle that began as a result of Resolution 15 was
intended merely to support, and not replace, the ongoing political
struggle
Meine Interpretation
Der
Wille Hanois, das Land zu vereinigen, war mit der Resolution 15
manifestiert. Nicht zuletzt
deshalb, weil es im Süden bereits vereinzelt Aufstände bzw. Gefechte
zwischen den nach der Teilung des Landes im Süden verbliebenen Viet-Minh-Kämpfern und
dortigen Regime-Gegnern auf der einen Seite und der Armee Südvietnams
auf der anderen gegeben hatte. Hanoi wägte
wegen oder trotz der Resolution 15 noch ab, und war wegen der
damaligen politischen Weltlage und der äquidistanten Haltung zu Moskau
und Peking noch unschlüssig, richtig militärisch im Süden
aktiv zu werden. Es gab das Für- und das Wider-Lager in der Führung
Hanois. Der Druck fürs Aktivwerden im Süden wuchs an, da Hanoi auf jeden
Fall den Einfluss im Süden in der Hand halten
wollte. Im
Dezember 1960 wurde wohl auch
aus dem Grund die FNL gegründet. Die von Hanoi instruierte operative
Zentrale für den Süden (Central Office for Southern Vietnam: COSVN)
wurde ohnehin mit Politbüro-Mitgliedern besetzt.
Die Frage nach dem Kriegsbeginn steht auch hier mit interessanten Infos.
-------
Kürzlich erschienene Publikationen von Ph. Le Trong
Handbuch Myanmar, Berlin: Horlemann (co-ed.)
Southeast Asia and the Civil Society Gaze - Scoping a Contested Concept in Cambodia and Vietnam, London/New
York: Routledge (auth.)
Kissinger und Südostasien, München: edition global (auth.)
((Fassung vom 6.12.16))
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